Stimmen zur Lage der Musikszene Schleswig-Holsteins: Folge 4 Jazz

Der Wettbewerb „Jugend jazzt“ wird auf 2022 verschoben. Erstmals hätte die Bundesbegegnung in Lübeck stattfinden sollen. Dort lebt ihr Gründer. 1997 rief Dr. Peter Ortmann die Bundesbegegnung ins Leben - als Ergänzung bestehender Landeswettbewerbe. Heute ist der ehemalige künstlerische Geschäftsführer und Projektleiter des Deutschen Musikrates im Ruhestand, aber als Konzertpianist, Komponist, Musikvermittler und Mitgründer des Vereins Jazzpool Lübeck sowie des Fördervereins Jazz Hansestadt Lübeck weiterhin aktiv. Gemeinsam mit dem Landesmusikrat und lokalen Partnern wollten sie jungen Musikerinnen und Musikern über Himmelfahrt endlich wieder eine Bühne für Jazz bieten.
Für die Entscheidung des Deutschen Musikrates zeigt Dr. Peter Ortmann Verständnis: „Die Länder hätten ihre Wettbewerbe über Winter durchführen müssen. Aus Schutz vor der Pandemie ging das nicht. In diesem Jahr war „Jugend jazzt“ für kleine Combos ausgeschrieben. Diese regelkonform zu betreuen, wäre uns allerdings leichter gefallen, als eine Kohorte aus sechzehn Big-Bands auf Abstand zu halten. Deren Wettbewerb findet stets im Wechsel statt. Nun verschiebt sich alles jeweils um ein Jahr“.
Jazz ist Kreativität und Spontaneität, Kommunikation und Innovation
Alle Bühnen, alle Clubs im Land sind dicht. Ein junger Jazzer aber braucht Gelegenheiten, sein Talent öffentlich unter Beweis zu stellen. Die bieten sich beispielsweise in Jam Sessions und in Konzerten mit eigenen Ensembles. In Sessions finden sich Jazzer spontan vor Ort zum Musizieren zusammen. Ihre gemeinsame Basis ist das „Real Book“, eine Ansammlung von mehreren hundert Jazzstandards. Sie enthält viele Evergreens. Jeder Jazzer kennt sie. Die hohe Kunst besteht darin, aus den Themen dieser Standards etwas Eigenes zu schöpfen, deren Kanon zu verlassen. „Das lernt eine Musikerin, ein Musiker nur durch Ausprobieren. Junge Talente beherrschen irgendwann ihr Handwerk. Danach brauchen sie jedoch mental Futter, um reifen zu können. Sie müssen herausfinden, wer sie sind, welcher Stil zu ihnen passt. Kurz: Sie müssen sich zu Persönlichkeiten entwickeln, von denen ein Funke auf das Publikum übergeht. Dazu braucht es die Begegnung mit Vorbildern. Sobald die Clubs wieder öffnen dürfen, feiern wir das in Lübeck mit einem Jazzfest“.
Musik als finanzieller Härtetest für Eltern
Im Gegensatz zu anderen Musikhochschulen besitzt Lübeck keinen Studiengang Jazz. Deshalb sehen sich alle Akteure der landeseigenen Szene in der Verantwortung, selbst Jazz-Legenden zu Begegnungen mit dem Nachwuchs ins Land zu holen. Die finden dann in Meisterkursen, bei Wettbewerben oder im Rahmen von Jazzfestivals statt. „Zur Zeit ist kein Ton zu hören. Dadurch nimmt man vielen talentierten, jungen Jazzern in einer für sie ziemlich wichtigen Lebensphase die Chance, ihre Berufung zu leben“, bedauert Dr. Ortmann. Bereits vor Ausbruch der Pandemie zeigte sich, dass oft die Herkunft darüber entscheidet, wer sich in der Musikwelt durchsetzen kann. Denn die Unterstützung eines begabten Kindes sei für Eltern nicht nur ein mentaler, sondern auch ein finanzieller Härtetest: „Von der musikalischen Früherziehung über das erste eigene Instrument bis zur Teilnahme an Meisterkursen summiert sich das im Schnitt auf bis zu 15 Tausend Euro pro Kind. Andere treffen ihre Berufswahl nach dem Schulabschluss. Für Künstler ist das zu spät. Das Tor zur Musikkarriere öffnet sich, sobald sie laufen können. Es braucht in Zukunft und erst recht nach den aktuellen Einschränkungen verstärkte Anstrengungen, um musikalische Bildung als gleiche Chance für alle jungen Leute zu etablieren. Denn Kunst und damit auch Jazz können die Welt zwar nicht ändern, aber sie können sie erträglicher machen“.