Stimmen zur Lage der Musikszene Schleswig-Holsteins: Folge 2 Tonkünstler

Über die Situation der Privatmusiklehrkräfte sprachen wir am 28. Januar mit Claudia Gotthardt. Die Diplom-Musikpädagogin und Akkordeonistin unterrichtet privat wie auch an der Musikschule Kronshagen. Darüber hinaus gibt sie Konzerte u. a. mit dem Kieler Trio “Moments Musicaux” und ist Dirigentin zweier Akkordeonorchester. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Berufsverband für qualifiziert ausgebildete Musikpädagogen und Musiker. Seit fast drei Jahren ist sie 2. Vorsitzende im Landesverband Schleswig-Holstein des Deutschen Tonkünstlerverbands (DTKV); fünf Jahre leitet sie den Ortsverband Kiel.

Dass der Infektionsschutz an erster Stelle stehen muss, stellt Claudia Gotthardt nicht infrage: „Trotz aller damit verbundenen Einschränkungen, sind die ergriffenen Maßnahmen sinnvoll und notwendig.“ Aber an dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Perspektivplan der Schleswig-Holsteinischen Regierung empört sie, dass er augenscheinlich eine Öffnung für den Instrumentalunterricht als außerschulisches Bildungsangebot erst sehr spät, nämlich in der vorletzten Stufe vorsieht. Es sei unverständlich, dass sich Haushalte mit einer fremden Person treffen und KiTas sowie Grundschulen Wechselunterricht bzw. Notbetreuung durchführten. Aber Privat- und Musikschullehrer ihre Schüler nicht zum Einzelunterricht empfangen dürften. Musikschulen ebenso wie viele ihrer privat unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen hätten während des ersten Lockdowns kräftig in Spuckschutzwände und anderen Infektionsschutz investiert.

Bewährte Hygiene- und Abstandskonzepte

„Unsere Schülerschaft besteht aus einem festen und sehr überschaubaren Personenkreis“, holt Claudia Gotthardt aus: „Deren Einzelunterricht dauert je nach Vereinbarung höchstens bis zu einer Stunde pro Woche und Schüler, meist weniger. Danach werden die Räume gelüftet und desinfiziert. Zwischen den Unterrichtsstunden haben wir zusätzliche Pausen, damit sich die Schüler möglichst nicht begegnen.“ Über Sommer und Herbst hat sich dieses Konzept bewährt. Besonders die Jüngsten treffe die Entscheidung der Regierung ganz hart: „Während der letzten Monate haben wir ersatzweise online Unterricht angeboten“, erklärt Claudia Gotthardt und berichtet: „Ohne dass ein Elternteil anwesend ist, läuft jedoch bei den jüngeren Kindern nichts. Sie kommen oft mit der außergewöhnlichen Lernsituation nicht allein klar. Ganz davon abgesehen, dass eine stabile Internetverbindung plus Geräte mit aktueller Software vorhanden sein müssen“. Aber es gäbe auch Schüler im fortgeschrittenen Alter, die mit den digitalen Medien nicht vertraut seien.

VideoCalls sind klanglich eine Katastrophe

Gängige Tools wie Zoom, Skype oder Teams zeigen Schwächen: Sie wurden konzipiert für Sprachübertragung. Weil das Klangspektrum beispielsweise von Streichern gar nicht richtig erfasst wird, entfalle die klangliche Feinarbeit, auch gäbe es immer wieder Standbilder oder Aussetzer in der Tonverbindung, bedauert Claudia Gotthardt: „Durch die Latenzzeit bei der Übertragung macht es absolut keinen Sinn, den Rhythmus laut mitzuzählen. Ich kann auch spontan in den Notenblättern nichts unterstreichen, um meine Schüler auf Stellen mit stilistischen Besonderheiten hinzuweisen.“ Einiges ließe sich am Bildschirm zeigen, nur seien die meisten Schülergeräte dafür zu klein. Claudia Gotthardt investierte in ihre Ausstattung: „Professionelle Online-Tools mit geeigneter Klangübertragung und ohne Latenz gibt es derzeit noch nicht. Wie viele meiner Kollegen nutze ich Zoom oder die Betaversion von SiriusVideo. Gekauft habe ich ein gutes USB-Mikrophon, professionelle Software zum Scannen und Bearbeiten von Noten sowie für das Erstellen von Midi und MP3 Dateien.“ Den Umgang damit brachte sie sich selbst bei. Nun erstellt sie für ihre Schüler individuelle Übedateien. Ihre Erfahrungen teilt sie regelmäßig mit Kollegen in der DTKV-Ortsgruppe. „Abgesehen von den erwähnten Qualitätseinbußen, bekomme ich nur sehr gefiltert mit, wie es meinen Schülern wirklich geht, ob sie guter oder schlechter Verfassung sind. Das ist, was mich sehr bedrückt. Wir fördern sie in ihrer musikalischen Entwicklung, ermuntern sie, über sich hinaus zu wachsen. Aber das Erfassen emotionaler Nuancen ist per Bildschirm kaum möglich. Hier die richtige Ansprache zu finden - darin steckt viel Verantwortung.“

Nachhaltige Unterstützung für die Musikszene

Nutzen Schüler das Onlineangebot ihrer Lehrkräfte nicht, fehlt diese Einnahme. „Momentan können freiberuflich tätige Kollegen solche Ausfälle kaum durch Neuzugänge kompensieren“, schildert Claudia Gotthardt die Lage, „Von Einbußen sind die meisten von uns auf die eine oder andere Art betroffen, insbesondere, da Tätigkeiten wie Orchesterleitung oder Konzerte wegfallen. Einige Kollegen sind inzwischen auf ALG II angewiesen, andere orientieren sich beruflich um oder denken zumindest darüber nach.” Sie selbst erfährt viel Solidarität von Seiten ihrer Schüler bzw. deren Eltern, welche die lange Durststrecke mittragen – soweit sie es sich leisten können. Von der Landespolitik wünscht sich Claudia Gotthardt nachhaltigere Unterstützung. Deren Förderung durch die KulturhilfeSH sowie das Kulturfestival letzten Sommer erwies sich als hilfreich. Sie ist aber längst ausgelaufen: „Im letzten Jahr wurde oft und deutlich von Seiten des Ministeriums für Bildung und Kultur betont, wie außerordentlich wichtig und unterstützenswert die Förderung der Musik in unserem Land ist“, erinnert sich Claudia Gotthardt: „Ich wünsche mir, dass uns dies jetzt in der Krise, wo die Kulturszene diese Unterstützung ganz besonders nötig hat, deutlicher gezeigt würde“.

Zurück